”… denn die Freiheit in Europa ist für Fremde nur ein Wort!”

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Migranten, Tijuana, Grenzzaun, 1998
Migranten, Tijuana, Grenzzaun, 1998

Welchen Pass haben Sie? Wahrscheinlich den Richtigen!? Da ich das Glück hatte, in Deutschland geboren zu sein, habe ich einen deutschen Pass. Noch nie habe ich auf der ganzen Welt Probleme bekommen. Ich kann fast überall weltweit hinreisen und die Kontrollen sind gering. Was für ein Glück! Getan habe ich dafür nichts! Doch wehe, man hat einen anderen Pass, nicht EU kompaktibel. Mit  so einem Pass kann man sich nicht in der Welt bewegen und die Kontrollen sind sehr viel schärfer! Bis vor kurzem war ich stolz darauf, ein Europäer zu sein. Ich bin es nicht mehr, und zwar wegen einem Erlebnis im Mittelmeer im Jahr 2004.

»Schiff Cap Anamur«, Mittelmeer, 1.7.2004
Wir liegen vor Sizilien in internationalen Gewässern, an Bord 36 Bootsflüchtlinge aus Afrika. Kurz nach dem Frühstück wollen wir in den Hafen Porto Empedocle einlaufen. Die Genehmigung dafür bekamen wir am Tag vorher. Ich stehe auf der Brücke, als das Telefon klingelt. Kapitän Stefan Schmidt erhält ohne Begründungen das Verbot, in den Hafen einzulaufen. Elias Bierdel und der Kapitän diskutieren die Situation. Das internationale Seerecht verpflichtet die Häfen, Schiffe mit Schiffbrüchigen einlaufen zu lassen. Ab jetzt steht das Telefon nicht mehr still.

Kurze Zeit später ist unser Schiff umzingelt von italienischen Kriegsschiffen, Turboschnellbooten der Guardia Finanzia und verschiedenen Polizeibooten inklusive der Einwanderungsbehörde. Aufklärungsflugzeuge überfliegen das Schiff. Niemand nimmt Kontakt mit uns auf, aber das ständige Umkreisen der Turboschnellboote löst bei uns allen großes Unbehagen aus. Die Gesichter der Flüchtlinge erzählen Bände. Gerettet aus Seenot, müssen sie jetzt erleben, dass zur Begrüßung in Europa Kriegs- und Polizeischiffe auf sie warten. Ist dies eine Antwort auf die ungelösten Fragen? Aufrüstung im Mittelmeer statt ernsthaften Bemühens um Lösungen? Ich schäme mich in diesem Moment, Europäer zu sein.“ ( Textauszug von Jürgen Escher aus dem Buch „LebenHelfen“, Stuttgart 2005)

Dies Gefühl ist bis heute geblieben, weil sich bis heute nichts verändert hat. Wir Europäer sind stolz darauf, keine Grenzen mit Mauern mehr zu haben. Aber es gibt fast unüberwindbare Mauern (oft unsichtbare Mauern) um Europa. Errichtet angeblich zu unserem Schutz, bezahlt mit unseren Steuergeldern! Warum ich Ihnen dies heute schreibe, hat mit einem fantastischen Projekt zu tun. Die Gruppe und die CD heißen „Strom und Wasser featuring The Refugees“ und sie wurde gegründet von Heinz Ratz, dem Bassisten der Band „Strom und Wasser“. Heinz Ratz hat mit seiner Band 2011 die 1000 Brücken Tournee gemacht und ist dabei in 80 Flüchtlingslagern in Deutschland aufgetreten. Erschüttert von den Zuständen in den Lagern und inspiriert von den unzähligen Begegnungen mit den Flüchtlingen entstand die Idee des neuen Projektes.

Seit zwei Wochen sind Heinz Ratz und seine Band »Strom & Wasser« mit Musikern aus deutschen Flüchtlingslagern auf Tour.

Der Hintergrund: Im Frühjahr 2011 besuchte Heinz Ratz im Rahmen seiner 1000-Brücken-Tour knapp 80 Flüchtlingslager überall in Deutschland. Dort traf er überraschend viele Musiker, in ihrer Heimat oft berühmt und hochgeachtet, die hier mit Reise- und Arbeitsverboten belegt, meist nicht einmal in der Lage sind, sich ein Instrument zu leisten. Der Plan war schnell gefasst – warum sie nicht unterstützen, ihre Lieder mit ihnen aufnehmen, ihnen eine Bühne geben – und all diese gefangene Musik befreien und in die Welt entlassen?! Warum nicht sogar mit ihnen auf Tour gehen, Festivals spielen, Clubkonzerte, Theater?

Die CD zu diesem einzigartigen Projekt ist nun fertig aufgenommen, die fast vergessene Musik aus deutschen Flüchtlingslagern wird gehört werden – trotz vieler Schwierigkeiten! Und überraschend modern: eine Mischung aus afghanischem Rap, Reaggea von der Elfenbeinküste, russischem Hiphop, Roma-Grooves und Dub aus Gambia und Kenia!
Umjubelte erste Konzerte, ausverkaufte Spielstätten in Augsburg, Schwäbisch-Hall, Kiel, dem Folk Baltica Festival, eine begeisterte Presseresonanz, Interviews mit Deutschlandradio Kultur, RBB, WDR, NDR und sogar dem BBC – ändert leider nichts an der akuten Abschiebebedrohung der Flüchtlingsmusiker.

Daher die Bitte an euch: helft uns, dieses einzigartige Projekt zu bewahren, unterschreibt diese Petition, wenn ihr der Meinung seid, die kulturelle Bereicherung durch diese Musiker sei so wertvoll, dass man ihnen ein Aufenthalt und Arbeitsrecht in Deutschland geben sollte.“ (Text von der Internetseite 1000bruecken.de)

Das Ergebnis ist Weltmusik vom Besten mit  Texten, die unter die Haut gehen. Im Song „Und die Freiheit in Europa“ wird der Weg eines 15-jährigen Flüchtlings aus Afrika nach Europa nacherzählt. Die Zeile “ …denn die Freiheit in Europa ist für Fremde nur ein Wort!“ hat sich in mein Gehirn gebrannt.

Wollen Sie so eine Freiheit? Ich nicht! Wir können die Welt nur verändern, wenn wir uns verändern!

Nachtrag vom 25.09.2013: Es gibt einen Film zur Tournee, hier ist der Link zum Film.